Die anhaltenden Schwierigkeiten des amerikanischen Flugzeugbauers Boeing werfen einen dunklen Schatten über die gesamte Luftfahrtbranche. Christian Scherer, Chef der zivilen Flugzeugsparte bei Airbus, äußerte in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ Bedenken, dass Boeings Probleme die Öffentlichkeit zunehmend an der Sicherheit des Fliegens zweifeln lassen könnten. Die Negativschlagzeilen rund um Boeing haben dazu geführt, dass Aufsichtsbehörden und andere Beobachter die Zulassungsprozesse für neue Flugzeugmodelle inzwischen deutlich kritischer unter die Lupe nehmen. Der öffentliche Druck auf die Hersteller sei gestiegen, sämtliche Sicherheitsaspekte bis ins kleinste Detail zu überprüfen und zu gewährleisten. Verzögerungen bei der Markteinführung neuer Modelle sind kaum zu vermeiden.
Entgegen mancher Vermutungen profitiert Airbus nach Scherers Worten jedoch keineswegs von den Schwierigkeiten des amerikanischen Konkurrenten. Die gestiegenen Preise für Verkehrsflugzeuge hätten vielmehr mit dem generellen Nachfrage-Überhang zu tun. Die Preise für Flugzeuge steigen nicht, weil Boeing Probleme hat, sondern weil die Nachfrage größer ist als das aktuelle Angebot an Flugzeugen. Die Wurzeln von Boeings Imagekrise liegen in den beiden Abstürzen seiner 737-Max-Maschinen in den Jahren 2018 und 2019 mit insgesamt 346 Todesopfern, verursacht durch fehlerhafte Software in den Systemen zur Flugzeugsteuerung. Seitdem steht der Konzern massiv in der Kritik und muss sich Vorwürfen mangelnder Qualitätskontrolle stellen. Ein weiterer Zwischenfall, bei dem eine nahezu fabrikneue 737-Max 9 der Fluggesellschaft Alaska Airlines während des Steigflugs ein Rumpffragment verlor, hat den Druck auf Boeing weiter erhöht.
Der Imageschaden für Boeing ist immens, denn die Vorfälle haben das Vertrauen in die Ingenieurskompetenz und Sicherheitskultur des Konzerns nachhaltig erschüttert. Die Folge der Boeing-Krise sind deutlich verschärfte Zulassungsverfahren für neue Flugzeugmodelle. Aufsichtsbehörden wie die europäische EASA und die US-Luftfahrtbehörde FAA gehen Sicherheitsfragen inzwischen wesentlich akribischer auf den Grund. Für die Flugzeughersteller bedeutet dies einen enormen Zeit- und Kostenaufwand.
Neben den technischen und finanziellen Schwierigkeiten plagten Boeing auch Führungsprobleme. Der langjährige Konzernchef Dennis Muilenburg musste 2019 nach harscher Kritik an seinem Krisenmanagement gehen. Sein Nachfolger Dave Calhoun kündigte bereits an, Ende 2024 den Chefsessel zu räumen. Immer wieder kamen Qualitätsmängel bei der Endmontage von Flugzeugen ans Licht. Solche Vorfälle unterstreichen die Notwendigkeit verbesserter Fertigungskontrollen und Qualitätssicherung.
Um das ramponierte Image aufzupolieren, investiert Boeing inzwischen massiv in eine unternehmensweite Werbekampagne. Unter dem Motto „Wir arbeiten hart daran, Ihr Vertrauen zurückzugewinnen“ soll die Öffentlichkeit von den verstärkten Anstrengungen für mehr Sicherheit und Zuverlässigkeit überzeugt werden. Experten sind sich einig, dass der Weg zur Vertrauensbildung ein langer und beschwerlicher sein wird.
Die Turbulenzen bei Boeing senden Schockwellen durch die gesamte Luftfahrtindustrie. Fluggesellschaften, Zulieferer, Behörden und nicht zuletzt die Kunden – alle Beteiligten sind von den Nachwirkungen betroffen. Die Konsequenzen sind höhere Zulassungshürden, verschärfte Kontrollen und ein generell gestiegenes Misstrauen gegenüber Luftfahrttechnik. Für die Hersteller bedeutet dies einen enormen Mehraufwand, um die Öffentlichkeit von der Zuverlässigkeit ihrer Produkte zu überzeugen. Letztlich kann die Krise nur durch eine gemeinschaftliche Kraftanstrengung aller Branchenakteure überwunden werden. Fehlerkultur, Qualitätssicherung und Transparenz müssen zur obersten Maxime erhoben werden.